In der aktuellen Folge der @LageNation "Schutz jüdischer Menschen", wird Antisemitismus & die jüdische Gemeinde in DE vollkommen verzerrt & realitätsfern dargestellt. @ZentralratJuden wird als Teil eines "Netanyahu-Block" & als "CSU-regiert" bezeichnet. Ein ausführlicher Thread🧵
#1 Tokenismus: Diese Ausgabe verfängt sich immer wieder im Tokenismus jüdischer Stimmen. Repräsentative jüdische Stimmen kommen nicht zu Wort, stattdessen z.B. Susan Neiman, die "schwört" Antisemitismus würde bei einer Festlegung auf die IHRA ansteigen (00:01:45 min).
Dass Neiman selbst die Jerusalem Decleration on Antisemitism (JDA) unterzeichnet hat, wird verschwiegen. Später bezeichnet sie den @ZentralratJuden diffamierend sogar als „CSU-regiert“ (00:39:26 min), der angeblich „nur eine kleine Bandbreite an Juden vertritt“.
#2 Studie der Uni Mannheim: In der Lage wird "eine neg. Korrelation zwischen pro-palästinensischen und antisemitischen Einstellungen" (00:22:06 min) behauptet, obwohl diese der Studie nach zwischen pro-palästinensischen und traditionell antisemitischen Einstellungen besteht.
Dahingegen wird vollkommen ausgespart, dass (1) laut der Studie antizionistischer Antisemitismus gerade unter jungen, linken Personen am stärksten ausgeprägt ist und (2) antizionistischer Antisemitismus und traditioneller Antisemitismus stark miteinander korreliert sind (.53).
#3 JDA: Jegliche kritische Gegenüberstellung von IHRA und JDA lässt sich vermissen. Gleich zu Beginn wird behauptet, die JDA würde "aus der Wissenschaft“ kommen (00:13:15 min) und wäre „entworfen und geschrieben“ worden „von dutzenden Antisemitismusforschenden“.
Das ist eine absurde Falschbehauptung und um das nachzuvollziehen, hätte eine einfache Wikipedia-Suche gereicht: "The Jerusalem Declaration was coordinated and authored by an eight-member group that included seven academics and a journalist/filmmaker.", steht da.
Die JDA basiert auf keiner langwierigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung, wie von der Lage an vielen Stellen suggeriert wird, sondern ist vordergründig als politisches Manifest und als Protestdefinition gegen die IHRA zu verstehen.
Auch unter den 360 Unterzeichnenden finden sich gerade mal 8 Personen, die in der Antisemitismusforschung tätig sind. Die JDA ist in vielerlei Hinsicht problematisch: Sie setzt z.B. Antisemitismus mit Rassismus gleich und lässt Antisemitismus nach 1945 vollkommen außenvor.
Gerade deshalb ist man sich, entgegen der in "der Lage" bemühten Darstellung der JDA als „viel schärfere“ Definition, gerade in der Antisemitismusforschung und in jüdischen Gemeinden vollkommen im Einen darüber, wie unbrauchbar die JDA als Antisemitismus-Definition ist.
#4 BDS: Die BDS-Kampagne wird nur kurz mit dem Verweis der JDA erwähnt und relativiert, dass Boykott "gängige Formen des gewaltfreien Protests sei". Einschlägige Verbindungen der BDS-Kampagne zur Hamas und anderen Terrororganisationen bleiben unerwähnt.
Jegliche kritische Einordnung von BDS bleibt aus. Gerade auch, dass der akademische Boykott von Israelis, der für BDS zentral ist, wahllos jüdische Israelis ins Visier nimmt, und zwar unabhängig von deren politischen Einstellungen.
#5 IHRA: Auch zur IHRA werden viele Behauptungen aufgestellt, die den Stand der Antisemitismusforschung vollkommenen missachten. So trage die IHRA „wenig zur Klärung bei, was Antisemitismus ist" (00:27:22 min). Man wünsche sich stattdessen eine "enge" Antisemitismus-Definition.
Darin liegt wahrscheinlich eine der zentralem Fehlannahme der Episode: Antisemitismus ist nicht bloß Vorurteil gegen „Juden als Juden“, sondern umfassendes Weltbild, und garnicht derart eng greifbar. Sonst hätte die Antisemitismusforschung schon längst eine hervorgebracht.
Obwohl die IHRA selbst angibt, dass „Kritik an Israel, die mit anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden“ kann, wird wiederholt kontrafaktisch behauptet, die Beispiele der IHRA würden „legitime Kritik als potenziell antisemitisch“ aufführen.
#7 Palästinakongress Berlin: Die Auflösung des Kongresses lässt sich sicherlich kritisieren. Allerdings bleiben Kongress & Organisator:innen wie Jewish Voice for Peace, die als DAS Nummer 1 Feigenblatt für antisemitische Einstellungen herhalten, vollkommen unhinterfragt.
So hätte z.B. Salman Abu Sitta den Kongress eröffnen sollen. In der Vergangenheit relativierte er die Hamas als "Widerstandskämpfer". Der Gazastreifen sei für ihn "Konzentrationslager", das "in Dauer und Größe die Lager in Auschwitz, Treblinka und Dachau" übertreffe.
#8 Wirre Darstellungen der jüdischen Gemeinde: Laut der "Lage", seien angeblich etwas mehr als die Hälfte der jüdischen Gemeinde in Deutschland Teil eines „Bibi-Block“, der die IHRA-Definition bevorzugt, weil dieser weniger Kritik an Israel erlaube.
Die andere Hälfte fände die IHRA „total problematisch, weil dessen Anwendung auch ihnen den Mund zu verbieten droht“. Es schockiert, wie mit vollkommen aus der Luft gegriffenen Behauptungen versucht wird, ein bestimmtes Narrativ um die jüdischen Gemeinde herum zu spinnen.
Keine jüdische Gemeinde in DE bevorzugt die JDA. Auch deren Dachverband, der Zentralrat, arbeitet mit der IHRA-Definition. Das ist weltweit auch die Norm: Die IHRA-Definition wurde zuletzt von über 160 jüdischen Gemeinden und Organisationen aus über 65 Ländern befürwortet.
Dass Historikerin Stollberg-Rilinger, die unverständlich oft zitiert wird, auf Basis von „Erfahrungstatsachen“ darauf beharren möchte, es wäre „offensichtlich, dass sehr viele Juden als Antisemiten diffamiert werden, um sie zum Schweigen zu bringen.“ ist falsch (00:42:30 min).
Das geschieht in absolut keiner nennenswerten Dimension. Zudem können selbstverständlich auch Jüdinnen und Juden sich antisemitisch äußern, siehe Israel Shamir. Das Cancelling von Candice Breitz ist zwar vollkommen verrückt, doch wurde selbst dort nicht mit der IHRA argumentiert.
Dass hier versucht wurde, die IHRA & die Resolution als etwas zu framen, wovon die Hälfte der Jüdinnen und Juden sagen würde, es schade ihnen, ist bei aller notwendiger Kritik gegenüber der Resolution, eine schockierend unwahre Behauptung gegenüber der jüdischen Gemeinde.
Die IHRA ist nicht, wie behauptet, „sehr umstritten in der jüdischen Community" (00:11:03 min) und es existiert darüber auch kein „massiver innerjüdischer Streit“. Der Zentralrat ist nicht „Team Netanyahu“, die Welt und die jüdische Gemeinde kein Fußballspiel.