@PeterRNeumann

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Assad ist Geschichte, und Syrien ist... frei? Niemand sollte unterschätzen, welch enorme Konsequenzen die aktuellen Entwicklungen haben könnten -- und zwar innerhalb Syriens, regional und global. Ein THREAD 1/ 👇

Einfach ausgedrückt: Kein Mensch weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Die neuen Machthaber in Damaskus waren bis vor kurzem aus westlicher Sicht Terroristen. Auf ihren Anführer, al-Jolani, ist (nach wie vor) ein Kopfgeld von $10 Millionen augesetzt. 2/

Tatsache ist: Ziel Jolanis und seiner Gruppe ist (immer noch) ein islamistischer Staat. Vielleicht nicht ganz so brutal wie beim IS, aber Frauen und Minderheiten hätten dort wenig zu sagen. Der Chefideologe der Gruppe hat kürzlich die Taliban zum „Vorbild“ ausgerufen. 3/

Dass Minderheiten in Syrien –- Alawiten, Christen, Drusen, Schiiten, Kurden -– Jolani nicht über den Weg trauen, ist keine Überraschung. Sie fürchten nicht nur einen Gottesstaat, sondern auch -- und ganz unmittelbar -- Vergeltung für die Gräueltaten von Assad und seinem Regime 4/

Für die Zukunft Syriens gibt es drei Szenarien: (1) eine Spaltung des Landes in 2-3 autonome Provinzen; (2) ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs; (3) ein Bürgerkrieg mit anschließender Spaltung. Kaum jemand traut Jolani und seine Partnern zu, das gesamte Land zu befrieden. 5/

Auch regional hat Assads Sturz enorme Konsequenzen. Syrien war neben der Hisbollah das wichtigste Glied in der iranischen „Achse des Widerstands". Durch Assad konnte Teheran seine Macht im gesamten Nahen Osten projizieren. Sein Sturz ist für den Iran ein herber Verlust. 6/

Die Türkei dagegen könnte ein Gewinner sein. Die Islamisten, die jetzt Damaskus stürmen, gehörten (größtenteils) zu Ankaras Verbündeten. Doch inwieweit hat Erdogan sie wirklich unter Kontrolle? Und werden seine Erzfeinde, die Kurden, durch die Situation schwächer oder stärker? 7/

In Israel sieht man die Situation mit gemischten Gefühlen. Der Rückzug des Iran und die Schwächung der Hisbollah sind aus isr. Sicht positiv. Doch gleichzeitig ist klar: Ein von Islamisten regiertes Syrien direkt vor der eigenen Haustür ist für Israel keine gute Nachricht.8/

Für die Golfmonarchien -- Saudi, Katar und VAE -- ergibt sich eine Chance... und Verpflichtung. Jahrelang haben sie den Bürgerkrieg in Syrien mit Geld und Waffen befeuert. Zuletzt wollten sie Assad wieder rehabilitieren. Werden sie diesmal eine konstruktive Rolle spielen? 9/

Auch über die Region hinaus könnte Assads Sturz massive Konsequenzen haben. Assad war ein wichtiger Verbündeter Russlands, und sein Fall ist für Putin eine Riesenpleite. Dabei geht es nicht nur - oder in erster Linie - um die Marinebasis in Tartus, die jetzt bedroht ist.. 10/

Für Putin steht viel mehr auf dem Spiel: sein Einfluss im Nahen Osten, der sich v.a. an Assad festmachte; das Mantra, wonach Stabilität stets besser ist als Freiheit; und nicht zuletzt der Mythos der Unbesiegbarkeit. Ist Russland vielleicht doch nicht so stark wie alle denken?11/

Eine weitere mögliche Konsequenz: Migration. Kommt es zu einer Beruhigung, sodass Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren können? Oder flammt der Bürgerkrieg wieder auf und noch mehr Menschen versuchen, aus Syrien zu fliehen? Ich befürchte: Letzteres ist wahrscheinlicher. 12/

Hermit verbunden: die Bedrohung durch den Terrorismus. Dschihadisten auf der ganzen Welt sind vom Sieg der Islamisten wie elektrisiert. Al-Qaida hat Jolani bereits gratuliert. Wird Syrien, trotz gegenteiliger Beteurungen, wieder zum Rückzugsort für transnationale Terroristen? 13/

Wenn das Land erneut im Chaos versinken sollte, hätte sogar der IS wieder eine Chance. Die Lehren aus Afghanistan, dem Irak, Libyen und Syrien selbst sind eindeutig: Bürgerkriege schaffen nicht nur humanitäre Katastrophen, sondern auch den Nährboden für Terrornetzwerke. 14/

Kurzum: Die Befreiung Syriens von Assad ist einerseits natürlich positiv. Der Mann und sein Regime haben Hunderttausende von Menschen auf dem Gewissen -- weit mehr als der IS und alle anderen „Rebellen" zusammen. Assads Versprechen von „Stabilität" war stets eine Lüge. Doch.. 15/

Doch dieser Moment birgt auch enorme Risiken. Bloß weil sie Assad bekämpft haben, sind die neuen Machthaber keine liberalen Demokraten. Und niemand weiß, ob es ihnen gelingen kann, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen und einen erneuten Bürgerkrieg zu vermeiden. 16/

Europa hat in Syrien selbst relativ wenig Einfluss. Aber es kann zumindest versuchen, die Nachbarschaft zu stabilisieren und konstruktiv auf Länder einzuwirken, die in Syrien Einfluss haben, insbesondere die Türkei und die Golfmonarchien. 17/

Niemand erwartet von Europa eine massive Intervention. Das wäre auch gar nicht hilfreich. Aber mehr als nur Zuschauer sollten wir schon sein. Denn das, was da aktuell in Syrien passiert, betrifft früher oder später wahrscheinlich auch uns. 18/

Mehr zu Assad, den islamistischen Rebellen und zur Politik des Westens im Syrienkonflikt gibt es u.a. in meinem Buch *Die neue Welt(un)ordnung* 👇 https://t.co/EoOfehqwEp

PS: Die Befreiung des Foltergefängnisses von Sednaja illustriert das Dilemma: Hier haben sich unter Assad unbeschreibliche Gräuel zugetragen, ein Symbol seiner Schreckensherrschaft. Gleichzeitig... 20/ https://t.co/ZcxpvkpnIb

Gleichzeitig sind viele der 5000 Freigelassenen Dschihadisten, die an ihre Heimatorte zurückkehren und (verständlicherweise?) Vergeltung fordern. (Assad selbst hat mit solchen Freilassungen vor 20 Jahren den Bürgerkrieg im Irak befeuert.)21/ https://t.co/TWFfRNBrki

Was sich heute in Syrien abspielt, ist deshalb sowohl Ende als auch Anfang. Es ist das Ende einer zynischen und brutalen Schreckensherrschaft, aber möglicherweise eben auch Beginn einer neuen Periode von Instabilität und Konflikt. Ich hoffe sehr, dass ich falsch liege. 22/

Assad ist Geschichte, und Syrien ist... frei? Niemand sollte unterschätzen, welch enorme Konsequenzen die aktuellen Entwicklungen haben könnten -- und zwar innerhalb Syriens, regional und global. Ein THREAD 1/ 👇Einfach ausgedrückt: Kein Mensch weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Die neuen Machthaber in Damaskus waren bis vor kurzem aus westlicher Sicht Terroristen. Auf ihren Anführer, al-Jolani, ist (nach wie vor) ein Kopfgeld von $10 Millionen augesetzt. 2/Tatsache ist: Ziel Jolanis und seiner Gruppe ist (immer noch) ein islamistischer Staat. Vielleicht nicht ganz so brutal wie beim IS, aber Frauen und Minderheiten hätten dort wenig zu sagen. Der Chefideologe der Gruppe hat kürzlich die Taliban zum „Vorbild“ ausgerufen. 3/Dass Minderheiten in Syrien –- Alawiten, Christen, Drusen, Schiiten, Kurden -– Jolani nicht über den Weg trauen, ist keine Überraschung. Sie fürchten nicht nur einen Gottesstaat, sondern auch -- und ganz unmittelbar -- Vergeltung für die Gräueltaten von Assad und seinem Regime 4/Für die Zukunft Syriens gibt es drei Szenarien: (1) eine Spaltung des Landes in 2-3 autonome Provinzen; (2) ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs; (3) ein Bürgerkrieg mit anschließender Spaltung. Kaum jemand traut Jolani und seine Partnern zu, das gesamte Land zu befrieden. 5/Auch regional hat Assads Sturz enorme Konsequenzen. Syrien war neben der Hisbollah das wichtigste Glied in der iranischen „Achse des Widerstands". Durch Assad konnte Teheran seine Macht im gesamten Nahen Osten projizieren. Sein Sturz ist für den Iran ein herber Verlust. 6/Die Türkei dagegen könnte ein Gewinner sein. Die Islamisten, die jetzt Damaskus stürmen, gehörten (größtenteils) zu Ankaras Verbündeten. Doch inwieweit hat Erdogan sie wirklich unter Kontrolle? Und werden seine Erzfeinde, die Kurden, durch die Situation schwächer oder stärker? 7/In Israel sieht man die Situation mit gemischten Gefühlen. Der Rückzug des Iran und die Schwächung der Hisbollah sind aus isr. Sicht positiv. Doch gleichzeitig ist klar: Ein von Islamisten regiertes Syrien direkt vor der eigenen Haustür ist für Israel keine gute Nachricht.8/Für die Golfmonarchien -- Saudi, Katar und VAE -- ergibt sich eine Chance... und Verpflichtung. Jahrelang haben sie den Bürgerkrieg in Syrien mit Geld und Waffen befeuert. Zuletzt wollten sie Assad wieder rehabilitieren. Werden sie diesmal eine konstruktive Rolle spielen? 9/Auch über die Region hinaus könnte Assads Sturz massive Konsequenzen haben. Assad war ein wichtiger Verbündeter Russlands, und sein Fall ist für Putin eine Riesenpleite. Dabei geht es nicht nur - oder in erster Linie - um die Marinebasis in Tartus, die jetzt bedroht ist.. 10/Für Putin steht viel mehr auf dem Spiel: sein Einfluss im Nahen Osten, der sich v.a. an Assad festmachte; das Mantra, wonach Stabilität stets besser ist als Freiheit; und nicht zuletzt der Mythos der Unbesiegbarkeit. Ist Russland vielleicht doch nicht so stark wie alle denken?11/Eine weitere mögliche Konsequenz: Migration. Kommt es zu einer Beruhigung, sodass Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren können? Oder flammt der Bürgerkrieg wieder auf und noch mehr Menschen versuchen, aus Syrien zu fliehen? Ich befürchte: Letzteres ist wahrscheinlicher. 12/Hermit verbunden: die Bedrohung durch den Terrorismus. Dschihadisten auf der ganzen Welt sind vom Sieg der Islamisten wie elektrisiert. Al-Qaida hat Jolani bereits gratuliert. Wird Syrien, trotz gegenteiliger Beteurungen, wieder zum Rückzugsort für transnationale Terroristen? 13/Wenn das Land erneut im Chaos versinken sollte, hätte sogar der IS wieder eine Chance. Die Lehren aus Afghanistan, dem Irak, Libyen und Syrien selbst sind eindeutig: Bürgerkriege schaffen nicht nur humanitäre Katastrophen, sondern auch den Nährboden für Terrornetzwerke. 14/Kurzum: Die Befreiung Syriens von Assad ist einerseits natürlich positiv. Der Mann und sein Regime haben Hunderttausende von Menschen auf dem Gewissen -- weit mehr als der IS und alle anderen „Rebellen" zusammen. Assads Versprechen von „Stabilität" war stets eine Lüge. Doch.. 15/Doch dieser Moment birgt auch enorme Risiken. Bloß weil sie Assad bekämpft haben, sind die neuen Machthaber keine liberalen Demokraten. Und niemand weiß, ob es ihnen gelingen kann, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen und einen erneuten Bürgerkrieg zu vermeiden. 16/Europa hat in Syrien selbst relativ wenig Einfluss. Aber es kann zumindest versuchen, die Nachbarschaft zu stabilisieren und konstruktiv auf Länder einzuwirken, die in Syrien Einfluss haben, insbesondere die Türkei und die Golfmonarchien. 17/Niemand erwartet von Europa eine massive Intervention. Das wäre auch gar nicht hilfreich. Aber mehr als nur Zuschauer sollten wir schon sein. Denn das, was da aktuell in Syrien passiert, betrifft früher oder später wahrscheinlich auch uns. 18/Mehr zu Assad, den islamistischen Rebellen und zur Politik des Westens im Syrienkonflikt gibt es u.a. in meinem Buch *Die neue Welt(un)ordnung* 👇 https://t.co/EoOfehqwEp PS: Die Befreiung des Foltergefängnisses von Sednaja illustriert das Dilemma: Hier haben sich unter Assad unbeschreibliche Gräuel zugetragen, ein Symbol seiner Schreckensherrschaft. Gleichzeitig... 20/ https://t.co/ZcxpvkpnIbGleichzeitig sind viele der 5000 Freigelassenen Dschihadisten, die an ihre Heimatorte zurückkehren und (verständlicherweise?) Vergeltung fordern. (Assad selbst hat mit solchen Freilassungen vor 20 Jahren den Bürgerkrieg im Irak befeuert.)21/ https://t.co/TWFfRNBrkiWas sich heute in Syrien abspielt, ist deshalb sowohl Ende als auch Anfang. Es ist das Ende einer zynischen und brutalen Schreckensherrschaft, aber möglicherweise eben auch Beginn einer neuen Periode von Instabilität und Konflikt. Ich hoffe sehr, dass ich falsch liege. 22/

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